Brigitte Huck — Sputniks, UFOs und andere Auszerirdische - 1997
Texte

Heute noch meint er, dass sich bereits damals im Ansatz jene Dispositive formierten, die später die Trabanten seiner Kunst sein würden: die Gleichzeitigkeit von Innen und Außen, die Dehnbarkeiten und Begrenzungen der menschlichen Einflussmöglichkeiten, die unstabile Balance von Autonomie und Abhängigkeiten, vor allem aber der Dialog zwischen Vertrautem und dem Unbekannten. Nicht von ungefähr also läuft Wakolbingers Personale im 20er Haus unter dem Titel Sputnik: als Programm, als Symbol und als Mythos.

Schon im Foyer sieht man sie kommen: Unidentified flying objects, unbekannte Wesen, für die wir keine Kategorien haben, die sich nicht einordnen lassen. Klassifikation: Aliens. Eigenschaften: wild, fremd, bedrohlich. Position: overhead. Sie schweben. Ein Feuermeer schimmernden Kupfers in Augenhöhe zwischen Decke und Boden. Materie, airborne. Erst auf den zweiten Blick bemerkt man die Verankerungen an der Decke. Was da in labilem Gleichgewicht an dicken Eisenbändern hängt, lebt, oder hat gerade noch gelebt. Das ungeschützte Metall oxydiert in dunklen, matten Flecken, die sich auf der glühenden Oberfläche seuchenartig ausbreiten. Rohe, unbehandelte Schweißnähte verbinden die heftig gebogenen Kupferstücke zu atemlosen Skulpturfetzen, aufgeladen durch die Assoziationen mit Metzgereien, wo das tote Fleisch am Haken baumelt. Seltsame, surreale Gebilde wachsen amöbenhaft im Raum. Flankenstücke wuchern, falten sich, strecken ihre Fangarme aus und gerinnen im Nichts. Jenen Etuden zum Stoffwechsel vom Metall zum Gelee stehen klare, fest umrissene Maschinenteile gegenüber: Walzen, Rohre, Wellen, Zylinder. Sie holen uns aus dem rätselhaften Science Fiction-Kosmos in eine zwar vertrautere, aber dennoch beunruhigende Welt zurück. Zwischen hybrider Natur und verklausulierter Technik liegt die Fiktion der Realität.

Irgendwo, zwischen Hannibal Lecters kannibalistischen Ritualen und Greenaways Fleischkühlhäusern, vor deren Toren die Hunde lauern, siedelt Wakolbingers neue Plastik. Verstörend und intensiv. Wenn wir uns erinnern, wie bei David Cronenberg Fernseher zu organischen Körpern mutieren und die Videokassetten atmen, so sitzt uns angesichts Wakolbingers hängender Thrombosen die gleiche Panik im Nacken. Ein Manifest von Blood, Sweat and Tears, ein Lichtjahr entfernt von den frühen schmuckhaften Kleinskulpturen, die ordentlich auf Sockeln daherkamen.

Und ein weiter Weg von den meditativen Gefäßplastiken, die Wakolbingers internationalen Durchbruch markierten, Skulpturen an der Schnittstelle von Autonomie, funktionalem Objekt und Kultmöbel. Auf der documenta 8 hat er vorgeführt, wie aus Spachtelputz und Kupferblech Objekte werden können, die Sockel und Plastik zu einem Ganzen vereinen. Das Einstülpen negativer Kupferformen in mattgraue Putzkörper konnte als Metapher für Polaritäten, aber auch als die Formulierung der absoluten Ausgewogenheit von Spannungen gelesen werden. Die Skulpturen funktionierten aus sich selbst heraus, sie funktionierten in ihrem Bezug zum Raum und bewiesen darüberhinaus gerne ihren Nutzwert.

War Kupfer in den Spachtelputzskulpturen geheimnisvoller Lichtträger, Energie, die aus dem Inneren kommt, schloss Wakolbinger in einem neuen Werkkomplex sein Material in stereometrische Container aus Floatglas ein. Kupfer in Bändern und Schleifen, das sich aus Wellenbewegungen heraus am Widerstand des Glases brach und mit geballter Kraft nach außen drängte. Paarweise oder in Gruppen frei im Raum angeordnet, oder architektonisch eingebunden, in Nischen, Wand- und Bodenflächen eingelassen, entwickelten die Plastiken ihre alchimistische Poesie als glänzende Fetische für die perfekte Balance der Form auf der Basis einer räumlichen Aussage, einer Intervention im Raum.

So sind es die Kontraste, die Gegenüberstellungen und Dichotomien gewesen, die Wakolbinger immer interessiert haben, sei das nun Innen und Außen, geometrisch-amorph, transparent-opak, oder Kern und Hülle, äußere Erscheinung und innere Wirklichkeit. Als überzeugenden Kontrapunkt zu Konzepten der immateriellen, medialen Kunst behaupten sich Wakolbingers dreidimensionale Körper als Therapeutika gegen die Flüchtigkeit des Augenblicks. Sie haben uns getröstet im Jahrzehnt der Skepsis gegenüber dem Status der Skulptur. Sie waren beharrlich, als metaphysisch dichte Ikonen, in Zeiten des Crossovers vom gestalteten Objekt zur diskursiven Praxis in der Kunst.

Wakolbinger hat seine Skulptur ein weiteres Mal entscheidend verändert, er hat das Tröstliche gegen Verstörung eingetauscht. Die klaren Silhouetten

und strengen Volumina euklidischer Verankerung sind Formhypothesen von exzessiver, zerdehnter Variabilität gewichen. Wakolbingers Skulptur des Affekts hebt folgerichtig vom Boden ab und besetzt den Luftraum. Und da man nie ganz sicher sein kann, wann die Androiden mutieren, werden sie beobachtet. Auf zwei metallenen Masten drehen sich Satelliten aus Wakolbinger-ville langsam um sich selbst, sammeln die Energien aus dem System der Ausstellung und funken sie als Botschaft weiter. Dass dabei gleichzeitig eine von allen Seiten verschiedene, jedoch gleichermaßen zufriedenstellende Ansicht einer Plastik geboten wird, ist als Parodie aufs klassische Anforderungsprofil der Skulptur zu verstehen.

Die vor langer Zeit gefällte Entscheidung für ein Material bleibt getroffen: Kupfer ist unverwechselbar und gibt sich durch seine einzigartige Farbe immer zu erkennen. Wakolbinger setzt es nun pur und ausschließlich ein. Wenn es so sein sollte, daß die spezifischen Eigenschaften eines Materials die Sprache der Objekte begründen, dann räumt der Künstler mit dieser These auf. Anstatt das Kupfer in reduzierte, geschlossene Formen zu bringen und auf Hochglanz zu polieren, wie Brancusi das verlangt hätte, unterläuft er nun die Regel, die auch für ihn bedeutsam war. Der Aggregatzustand des Kupfers verändert sich scheinbar vom Festen ins Flüssige, Knetbare, Weiche. Als Antithese zur Stereometrie führt Wakolbinger die Biomasse ein und zieht mit seinem sperrigen Metall alle Register des Soften. Adorno, dem die Synthesen von scheinbar Unvereinbarem suspekt waren, wäre nicht erfreut.

Die visuelle Struktur der Plastik Wakolbingers, also das, was sichtbar und damit vermeintlich Wahrheit wäre, basiert nicht selten auf den Codes der Fiction, insbesondere den Codes des Films. In der dualen Welt des David Lynch zum Beispiel tauchen Motive auf, deren Erfahrung und Verarbeitung in die skulpturale Methode Wakolbingers eingeflossen sind. In Dune etwa verwandeln sich die Helden in Glaskristalle, ihre Körper verschwinden in den gläsernen Prismen, der Außenraum = Körper transformiert zum Innenraum. Eben dieses Potential der Manipulationen zwischen Innen und Außen hat Manfred Wakolbinger häufig und ganz explizit bei einer Werkgruppe durchgespielt, als er die Kupfersubstanz in Glascontainer sperrte.

In David Cronenbergs Dead Ringers verdoppelt sich Jeremy Irons auf der Split Screen: ein Schauspieler, der beide Mantle-Zwillinge spielt. Den guten Bev und den bösen Elly. Sie verbindet ein Nervensystem, eine genetische Disposition. Der Katalysator zwischen den Brüdern ist Claire. Sie muss erkennen, es mit zwei verschiedenen Personen zu tun zu haben, die wiederum nicht an ihre Unterschiedlichkeit glauben, sind sie doch einer und beide zugleich.

Auch Wakolbingers skulpturale Syntax spielt mit dem Binären. Mit den Polaritäten, Gegensätzen und Widersprüchlichkeiten, die erst ein Ganzes erzeugen. Nie weiß man sicher, auf welcher Seite der Möbiusschleife man sich befindet, die zwischen dem Sichtbaren und dem Erkennbaren verläuft.

Da ist einmal die materielle Konsistenz – Metall – und ihr Erscheinen als Latex. Da ist das aktive Abheben, das Schweben und seine Relativierung durch die deutlich eingesetzten Hängevorrichtungen. Da sind die Assoziationen mit tumorösen Organen, hervorgerufen durch die Chiaroscuro-Ästhetik der fleckigen Oberflächen. Da täuscht die tote Materie schleichendes Wachstum vor. Wie im Horror-Genre werden innere Wucherungen durch Ausstülpungen an der Oberfläche angezeigt, die Skulpturenhaut wird zur Landkarte innerer Transformationen, die mit Sicherheit nicht gutartig sind.

Trotz aller augenfälligen Zerklüftetheit zeigt Wakolbinger Respekt vor dem Physischen der Skulptur und beharrt auf ihrer Körperlichkeit. Für ihn ist die klassische Ausgangslage der Plastik, das Formulieren von Volumen und Masse, die Betonung der Kräfte des Formprozesses, der Enthusiasmus für ein verführerisches Material, gültige Praxis. Die neuen Arbeiten jedoch untergraben die etablierten, akzeptierten Kategorien. Sie haben ihr Zentrum verloren, und mit ihrer Elevation hat sich die Sockeldebatte endgültig umgedreht. Eine wilde Kosmologie amorpher Zwitterfiguren, die allen Thesen zur Entstehung von Form spottet. Wakolbingers Notat eines para-organischen, transformierten und deformierten Ausdrucks führt wieder ins Kino, zu David Cronenberg. In Crash spürt er den verborgenen Kicks von zertrümmerten Karosserien, unfallverkrüppelten Körpern und seriellen Abseitigkeiten nach und lässt keinen Zweifel an der ihnen immanenten Faszination.

Es zeigt sich, sowohl in Cronenbergs Film als auch in der Skulptur Wakolbingers, daß alle Dinge, ungeachtet der Logik, der sie zuvor gehorchten,

in ihr diametrales Gegenteil verwandelt werden können und sie dadurch neue Energien freisetzen. Als Alternative zu scheinbar schlüssigen, auf fixen Polaritäten aufbauenden Modellen, bietet Wakolbinger die Subversion konventioneller Formen an, ob das nun die hermetische, abstrakte Figur oder die skulpturalen Konstruktionen sind, die Elemente des Dingalltags aufgreifen. Mit seinen spektakulären, zwischen Faszination und Schock angesiedelten Skulpturen erweist er sich als ein Meister der Irritation.