Brigitte Huck – Up from the Skies - 2012
Texte

Das Universalistische und Spirituelle ist der Kremser Dominikanerkirche bereits 1786 von Josef II ausgetrieben worden: Seit ihrer Säkularisierung haben sich in der gotischen Halle Landtage versammelt, sie war einmal als Speicher und Fabrik, dann als Theater und als Kino im Einsatz. Die neu gegründete Landesgalerie für zeitgenössische Kunst verantwortet nun in den spektakulären Räumen ein vielversprechendes Ausstellungsprogramm.

Mit Manfred Wakolbinger tritt ein alter Hase im Kunstbetrieb am Körnermarkt an. Als Meister seines Fachs hat er die nötige Leidenschaft und künstlerische Unerschrockenheit, um die architektonischen Herausforderungen des extrem schmalen und hohen Kirchenschiffs anzunehmen. Darüber hinaus lässt die komplette Leere den Innenraum als undefiniertes und unbegrenztes Vakuum erscheinen. Mit dem Nachdenken über solch räumliche Unbestimmtheit, über die Gleichzeitigkeit von Innen und Außen ist Manfred Wakolbinger vom Beginn seiner Karriere an beschäftigt: sein Terrain ist das Dehnbare und Unbegrenzte, die Transformation, der Dialog zwischen dem Vertrauten und dem Unbekannten. Ob es sich nun um die Bilder naher Galaxien und ferner Supernovas handelt, die von Space Teleskopen zur Erde geschickt werden, oder um seltenes Meeresgetier, das der leidenschaftliche Taucher und Unterwasserfotograf beobachtet. Wakolbinger ist fasziniert vom dreidimensionalen Raum und den vielen verschiedenen Möglichkeiten, ihn zu erleben.

 

Als Referenzen für seine umfangreiche Werkschau in Krems nennt Wakolbinger Philosophen und Pop Stars:

Der Titel der Ausstellung ‘Up from the Skies’ bezieht sich auf einen Song auf Jimi Hendrix’ zweitem Album: ‘Axis: Bold as Love’. Hendrix erzählt von Außerirdischen, die zur Erde zurückkehren, um nichts als Chaos und Verwüstung vorzufinden: ‘And I come back to find the star misplaced and the smell of a world that has burned.’

Wakolbinger erzählt, dass Jimi Hendrix im realen Leben Fallschirmspringer, in seiner Phantasie aber immer in Raumschiffen unterwegs gewesen ist. Seinen Körper sah er als Transistor, verschaltet ihn mit Verstärkern und der Gitarre zu einer künstlich-virtuellen Einheit, die kein natürliches Objekt mehr ist, sondern ein performatives Artefakt an der Schnittstelle Mensch/Maschine.

Mit einer großzügigen interdisziplinären Geste zieht Manfred Wakolbinger, der Bildhauer, neben dem sphärisch entrückten Hendrix ein auch von Peter Sloterdijk geschätztes indisches Märchen heran, um dem Kircheninneren beizukommen. Es erzählt von unsterblichen Göttervögeln, die im ewigen Flug durch die Lüfte gleiten. Ihre Eier brütet die Sonne aus, während sie aus großer Höhe zu Boden fallen. Der Flugbahn eines Göttervogeleis folgt die raumgreifende Skulptur aus Alurohr, mit der Manfred Wakolbinger Chor und Kirchenschiff verbindet. Sie schwingt an den Pfeilern hoch bis unter die Decke, um in entschiedenen Loops die Wand entlang zu gleiten. Schließlich erreicht sie einen Kubus, den der Künstler im Mittelschiff des Langhauses als Projektionsraum und Aussichtsplattform errichtet hat.

Von da überblickt man Wakolbingers plastisches Portfolio, das er in den Seitenschiffen und um die ovulare Flugparabel verteilt. Im Chorraum hat er den neuen Skulpturenzyklus ‘Forces’, untergebracht. Die eiförmigen Kupferskulpturen werden als dreidimensionale Körper, tröstliche Realien und Kontrapunkt zu Konzepten der immateriellen und imaginären Kunst präsentiert. Ein Zustand wird greifbar, eine Eigenschaft zur Form. ‘Resting, Acting, Stretching, Walking Force’ sind Titel, die verschiedenen Bewegungs – und Ruhestadien bezeichnen, die die Skulpturen einnehmen. Der Prozess der Transformation, der Verwandlungen und Metamorphosen ist entscheidend für die formale Umsetzung. Das Nicht-Greifbare, das Wakolbinger mit seiner Plastik identifiziert nimmt verschiedene Formen an. Sie reichen von der stoischen Kraft der Materie bis zu subtilen Humor im Medium Film: im Inneren des Kubus schickt der Künstler seine fliegenden Eierskulpturen in einer Filmanimation zur Musik von Christian Fennesz durch die Wüste.

Für Wakolbinger ist die Kremser Ausstellung ein ironisches Spiel mit dem Rollenklischee des Bildhauers ebenso, wie eine Beschwörung und Überprüfung des eigenen Werks.
Da sind die meditativen Gefäßplastiken, die einen internationalen Durchbruch markierten, Skulpturen an der Schnittstelle von Autonomie, funktionalem Objekt und Kultmöbel. Auf der documenta 8 hat er vorgeführt, wie aus Spachtelputz und Kupferblech Objekte werden können, die Sockel und Plastik zu einem Ganzen vereinen. Das Einstülpen negativer Kupferformen in mattgraue Putzkörper konnte als Metapher für Polaritäten, aber auch als die Formulierung der absoluten Ausgewogenheit von Spannungen gelesen werden. Die Skulpturen funktionierten aus sich selbst heraus, sie funktionierten in ihrem Bezug zum Raum, und bewiesen darüber hinaus gerne ihren Nutzwert.

War Kupfer in den Spachtelputzskulpturen geheimnisvoller Lichtträger, Energie, die aus dem Inneren kommt, schloss Wakolbinger in einem neuen Werkkomplex sein Material in stereometrische Container aus Floatglas ein. Kupfer in Bändern und Schleifen, das sich aus Wellenbewegungen heraus am Widerstand des Glases brach und mit geballter Kraft nach außen drängte. Paarweise oder in Gruppen frei im Raum angeordnet, oder architektonisch eingebunden, in Nischen, Wand- und Bodenflächen eingelassen, entwickelten die Plastiken ihre alchimistische Poesie als glänzende Fetische für die perfekte Balance der Form auf der Basis einer räumlichen Aussage, einer Intervention im Raum.

Betritt man die Ausstellung, muss man an den ‘Travellers’ vorbei, der neuesten Werkgruppe. Es handelt sich um futuristische Objekte, elegante, mattgrau, rosa oder lichtblau lackierte Metall- und Kupferkonstruktionen. Sie sind einerseits der Formensprache des Modernismus verpflichtet und erinnern auf der anderen Seite an Spielbergs Dinos und so manche Begegnung mit Wesen der dritten Art. Wakolbinger hat sie aus den ‘Placements’ entwickelt und ihnen – ein evolutionärer Schritt – Beine gemacht. Maurice Merleau-Pontys Verständnis vom ‘Leib’ spielt dabei eine wesentliche Rolle, der Begriff, mit dem der Philosoph die traditionelle Unterscheidung zwischen Körper und Bewusstsein aufhebt. Mit den neuen figürlichen Plastiken gehe es ihm, erzählt Manfred Wakolbinger, um die Materialisierung von etwas Ungreifbaren, das sich ausdehnt und permanent verändert.

‘Placements’ und ‘Travellers’ entwirft Wakolbinger mit Hilfe eines 3D Programms am Computer. Neben den realen Ausführungen in eher modellhaften Größen existieren sie auch im virtuellen Raum. Er montiert sie als gewaltige Monumente in Filme und in seinen nie versiegenden Fundus an Sehnsuchtsfotografien aus aller Welt, versetzt sie auf griechischen Inseln, in den balinesischen Dschungel oder in die Dünen von Gran Canaria.

Schließlich beschäftigt sich Manfred Wakolbinger im Film ‘Galaxies’ mit den Auflösungsprozessen von Materie. Der Künstler hat ihn in der Makassarstraße im Westen von Sulawesi unter Wasser gedreht. Seit vielen Jahren faszinieren ihn die Pelagischen Seescheiden, Meerestiere, die 40 Meter lange Ketten bilden, um sich letztendlich aufzulösen und zu verflüchtigen. Mit dem im Hochland von Sulawesi lebenden Volk der Toraja, die an ihrer Herkunft aus dem Weltall glauben und in Häusern leben, die wie Raumschiffe aussehen schließt sich der thematische Orbit der Ausstellung.

Wenn Wakolbinger stilbildende Skulpturen und verblüffende Filme versammelt, wenn er Freejazzer auftreibt, deren Beinarbeit ihn an die vielfüßigen ‘Travellers’ erinnert, wenn die durchkomponierte Filmmusik die Plastik in einen intergalaktischen Ambient Sound hüllt, dann fliegen phantastische Funken durch das ehemalige Gotteshaus.
Und auf der Plattform drehen sich Satelliten langsam um sich selbst, sammeln die Energien aus dem System der Ausstellung und strahlen ihre Botschaft aus.