Connie Offergeld – Zum Begriff der Sprache im Werk von Manfred Wakolbinger
Texte

Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen (1)

Poesie ist ein utopischer Wurf, in dem die Wahrheit nicht durch, sondern in der Sprache (mit Walter Benjamin gedacht) in Erscheinung tritt. Im poetischen Produktionsprozess, dem materiellen wie dem nicht-materiellen, tritt Sprache in die Dingsphäre ein und die Dinge erhalten eine Sprachlichkeit, in der Sachgehalt und Wahrheitsgehalt, Form und Inhalt eine Einheit bilden. Das ist der Punkt, von dem aus wir starten sollten, wenn wir die Überschreitung von Sprache, die sich als Rückkoppelung zwischen Objekt und Subjekt in einzelnen Werkgruppen Manfred Wakolbingers und im Besonderen in den «Placements» abbildet, begreifen wollen. Manfred Wakolbinger ist eine Art Metaphysiker, der sein eigenes Forschungsfeld ständig neu prozessorientiert hervorbringt, indem er Aggregatzustände umwandelt, gegeneinander aufbringt und das Unaussprechliche materialisiert. Seine künstlerische Arbeit verankert er in einem dualen Prinzip: Wenn nach der Wittgenstein’schen Formel die «Grenzen meiner Sprache » die «Grenzen meiner Welt» bedeuten, dann erweitert Wakolbinger diese Grenzen mittels einer verdinglichten Sprache und zugleich spielt er mit ihr Realität gegen Illusion aus, erzeugt paradoxe Wahrnehmungssituationen wie rekursive Prozesse zwischen Körper, Zeichen und Beobachtenden, um die Grundstrukturen und Prinzipien der Welt zu erforschen. Die beharrliche Suche nach in sich geschlossenen, poetischen Sprachsystemen zwischen Körper und Zeichen scheint dabei für den Künstler die Basis für eine Strukturanalyse des Mediums Sprache an sich zu sein. Die «Placements» sind metallene hybride Gebilde unterschiedlicher amorpher Formen, die freistellen, ob man in ihnen ein hieroglyphenartiges Zeichensystem oder abstrahierte, nicht humanoide – fossile oder aus der Zukunft stammende – Lebewesen sehen möchte. Sie erscheinen wie Zeichnungen in Innen- und Außenräumen, schneiden in sie ein, lassen negativen wie positiven Raum entstehen, und zugleich sind sie Objekte, die bisweilen einen möbelartigen Charakter annehmen. Sie verwehren sich derart gegen eindeutige Klassifizierung, stellen sich selbst bei jedem Deutungsversuch in Frage, erscheinen selbstreflexiv als Beobachter eigner formaler Ausprägungen wie Kontraposte, Symmetrien und Asymmetrien. Womöglich stehen sie nicht nur in passiver Beziehung zu ihrem humanoiden Gegenüber, sondern sind auch Beobachter der Beobachter. Ja, diese Hybride glucksen, gurgeln, zischen, schnalzen, bewegen sich hinter unserem Rücken und halten nur still, werden augenblicklich zu stummen Zeichen, wenn wir hinschauen. Doch ihre Laute hallen noch in den Räumen nach und lassen uns zu vorsichtig vorantastenden Graphologen des Unaussprechlichen werden. Der Psychoanalytiker August Ruhs beschreibt die Skulpturen als «roboterhafte und wie mutierte Saurier anmutende Blickwesen», als in den Landschaftsraum gesetzte «Körperlandschaften», die «den anthropomorphen bzw. egomorphen Ursprung aller Umwelt- und Objekterfahrung offenbaren»(2). Damit zielt er zweifelsfrei in das Epizentrum der künstlerischen Versuchsanordungen des Alchemisten Wakolbinger. Beide Verfahren, das anthropomorphe (dabei werden Tieren menschliche Qualitäten in Bezug auf Emotionen, Verstand oder Personalität zugeschrieben, wie wir es aus Fabeln und Kunst kennen) wie das egomorphe (d.h. Tiere über die eigene Erfahrung zu verstehen bzw. das Ich in den Tieren widerzuspiegeln), gehen von der Wahrnehmung von Ähnlichkeiten aus, also einem menschlichen «mimetischen Vermögen», in dem Walter Benjamin die zentrale Voraussetzung für Sprachbildung sah.(3) Die Reflexion über diese Fähigkeit zur Wahrnehmung und Herstellung von Ähnlichkeit im Objekt–Zeichen–Subjekt- Verhältnis erscheint als das Denkfeld, aus dem heraus die «Placements» entstanden sind.

OBJEKT UND ZEICHEN

Walter Benjamin formulierte bereits 1916 die Grundmotive einer radikalen Sprachtheorie, die ungeachtet ihrer Bezüge auf eine «göttliche Ordnung» entscheidende Denkimpulse bis zum Poststrukturalismus eines Ernesto Laclau (Unbegrenzheit des Systems Sprache) oder zu den aktuellen Beobachtungen der wechselseitigen Beeinflussung von Politik und Ästhetik von Jacques Rancière mittels der Sprache (Die stumme Sprache) geliefert hat. Wenn wir der Sprachtheorie Walter Benjamins folgen, ist Sprache nicht nur ein Zeichensystem, sondern es ist per se ein mächtiges politisches Instrumentarium zwischen Subjekt und Objekt. Jedes Ding hat demnach eine stumme, aber machtvolle Sprache, die wir erkennen und übersetzen müssen. Diese Sprache besteht unabhängig von der Gebrauchssprache, mit der wir uns dem Wesen der Dinge beschreibend nähern und mit der wir durch die Übersetzung und Benennung von Material, Form und Funktion unterschiedliche symbolische und funktionale Wertigkeiten herstellen. Das Ding teilt sich also durch seine materielle Ausprägung selbst mit und übt daher einen Einfluss auf uns aus. Erst im «Ausdruck» der Kunst, der Poesie (wie in der göttlichen Schöpfung), kann Sprache laut Benjamin über die bloße Beschreibung hinausgehen und ist nicht allein Medium des Mitteilbaren, sondern zugleich Symbol des Nicht-Mitteilbaren.(4) An diesem Grat zwischen Ursprung der Sprache und ihrer Unaussprechlichkeit operiert Manfred Wakolbinger, wenn er Objekte und Subjekte zusammentreffen lässt.

OBJEKT UND SUBJEKT

Die Bezeichnung «Placements» verweist auf das Prinzip der Dualität in Wakolbingers Skulpturen: Sie sind als stumme Behauptungen in Räume und Landschaften platziert und zugleich sind sie materialisierte Platzanweisungen. Durch die Verbindung mit dem menschlichen Körper (Abbildung S. X), der sich in die Leerstellen der Objekte einpasst, sie vermisst und dabei übersetzt, wird dieses Postulat explizit ausgetragen und es entstehen hybride Sphären, in denen sich Objekt und Subjekt miteinander verbinden. In einem klassischen kunstwissenschaftlichen Kategorisierungsansatz – nach der Schule Otto Pächts («Am Anfang war das Auge») – darf man möglicherweise an diesem Punkt nicht verabsäumen, auf Parallelen im künstlerischen Umfeld Wakolbingers hinzuweisen: auf die «Passstücke» und «Möbel-Objekte » Franz Wests, die «One Minute Sculptures» Erwin Wurms oder die «Köperkonfigurationen» VALIE EXPORTS. Allein die Beobachtung der Ähnlichkeit führt jedoch nicht zu Erkenntnissen, die über die Konstatierung dieser Ähnlichkeit hinausgehen, vielmehr bedarf es parallel dazu der Beobachtung der Abweichung. WährendFranz West also zunächst die Trennung zwischen Kunstobjekt und Betrachter durch Interaktionen zwischen beiden aufhob, Erwin Wurm die Person mit einem alltäglichen Gebrauchsgegenstand in ungewohnter Pose vereint, damit performative Skulpturen schafft, die unsere Perspektive auf den Alltag wie auf die Kunst verändern, VALIE EXPORT ihren Körper an bestehenden Architekturen an- und in Landschaften einfügt oder diesen entgegensetzt, ihn dabei in all seiner Verletzlichkeit der Welt ausliefert, sind Manfred Wakolbingers Berührungspunkte auf der Ebene der Sprachanalyse an sich zu suchen. Seine Skulpturen wie die Menschen werdengleichermaßen zu explizit wie implizit handelnden Akteuren. Dabei entstehen hybride Sphären zwischen Objekt und Subjekt, in denen die Aktionskräfte ausgeglichen sind. Durch den ständigen Rollentausch zwischen den quasi wesenhaft belebten Skulpturen, die zugleich Zeichen wie auch Möbel sind, und den quasi skulpturierten Menschen werden letztere nicht nur statischer Teil eines Systems von stummer Sprache, sondern es entstehen endlose Rückkoppelungen.

OBJEKT–ZEICHEN–SUBJEKT

In diesem Beziehungsgeflecht, in dem die Machtverhältnisse zwischen Subjekt und Objekt nivelliert sind, sich der Beobachtende im Beobachteten spiegelt, erscheint die Sprache nicht nur als das grenzenlose System eines ständigen Austauschs, in dem sich der Mensch als sich selbst wahrnehmend verortet und erkennt. Er kann dieses System in den Rückkoppelungsprozessen auch modifizieren. Dies entsteht durch Wiederholungen, in denen sich ein Kommunikationssystem über Kommunikation formiert. Erst auf dieser selbstreflexiven Ebene, so der Kybernetiker Heinz von Foerster, kann Kommunikation zur Sprache werden, erscheint dieMöglichkeit «den Bezug zum Bezug zu modifizieren», woraus sich immer weitere Relationen ergeben. So entsteht aus der Sicht von Foersters ein selbstorganisiertes und vor allem dynamisches System der gegenseitigen Beeinflussung, in dem keine objektive Realität existiert, sondern nur Eigenwerte innerhalb der Relationsstrukturen. Die Namen, die wir den Dingen dabei geben, seien lediglich «Symbole von Bewegungskompetenzen» des Interagierens mit einem Gegenstand, durch die wir aber auch zwangsläufig diese Bewegung als beendet erklären.(5) In dem Aufsatz «Die Magie der Sprache und die Sprache der Magie», schlägt Heinz von Foerster vor, Sprache nicht im üblichen Sinn als erklärbares Phänomen zu betrachten, vielmehr läge die Magie der Sprache in ihrer Unerklärbarkeit.(6) Für Walter Benjamin war die «Magie» das «Urproblem der Sprache» schlechthin, da sich das Wesen der Dinge nie vollständig in Sprache übersetzen lasse.(7) In seiner fantastischen Denkschule denkt von Foerster den Benjamin’schen Begriff von Magie weiter: Die Magie lehre einen, mit «Unwißbarem» umzugehen, «ohne zu wissen, wie man es erklären könne».(8)  Unter diesen Aspekten betrachtet, erscheinen Manfred Wakolbingers «Placements» als andauernde Prozesse, die als solche «namenlos» bleiben müssen. Das mag man für ein Paradoxon halten oder die Magie sehen. Doch das ist der Punkt, an dem wir einstweilen ankommen.

1 Heinz von Foerster, «Der Anfang von Himmel und Erde hat keinen Namen: Eine Selbsterschaffung in sieben Tagen», hrsg. v. Albert Müller und Karl H. Müller, Berlin 2002. Der Titel des Buches ist ein Zitat aus dem «Tao-te-king» des Laotse.

2 August Ruhs, «Scheinbar aus dem Himmel gefallen», in: Manfred Wakolbinger. Up From the Skies, Ausst.Kat., Wien 2012, S. 122.

3 Walter Benjamin, «Über das mimetische Vermögen», in: Gesammelte Schriften, Bd. II.1, hrsg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser, Frankfurt a. M. 1977, S. 210–213: 211f.

4 Walter Benjamin, «Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen», in: ebd., S. 140–157: 140ff.

5 Heinz von Foerster, «Der Anfang von Himmel … », a.a.O., 171.

6 Heinz von Foerster, «Die Magie der Sprache und die Sprache der Magie», in: Abschied von Babylon. Verständigung über Grenzen in der Psychiatrie, hrsg. v. Thomas Bock, Bonn 1995, 24ff.

7 Walter Benjamin, «Über Sprache überhaupt … », a.a.O., 142f .

8 Heinz von Foerster, «Der Anfangvon Himmel … », a.a.O., 169.