Die Aufgabe der Skulptur besteht darin, die Verteilung der Volumina im Raum, ihre Lineamente, ihr Gewicht, ihre Materialität, die Konstellation der Oberflächen, die Proportion, die Verteilung des Lichts, das Verhältnis zum Umraum und ihre entweder extensive oder intensive Qualität auszuloten. Es handelt sich also um eine Kunst der Körper, die zu den anderen, in der Welt vorkommenden Körpern eine diese explizierende Beziehung haben, so als wären sie Studienobjekte, Doubles, anatomische Präparate. Die Skulptur von heute hat eindeutig die Tendenz, sich als Materialcollage diffus im Raum auszubreiten, gnadenlos, dabei eher die Dingwelten bloß- und ausstellend, die Wahnwelt der Warenwelten, der gebauten und künstlichen Environments als Rätsel mit nostalgischen Charme in einer brüchigen, sentimentalen Ästhetik vorzuführen.
Die wenigsten beschäftigen sich mit dem soliden Zustand der Körper, mit dem integralen Volumen und dessen formalen und inhaltlichen Fragehorizonten. Es scheint ganz so, als habe man die konstitutive Funktion der Skulptur, auf den Körper im Raum eine Antwort zu geben, an die technischen Disziplinen verloren, die dabei sind, kuriose anthropomorphe Wohnstätten für AI betriebene Robotik zu entwerfen. Die maßstäblich auf den menschlichen Körper eingehenden Skulpturen sind durch den Monumentalkult diskreditiert, so scheint es. Weshalb man entweder viel zu große oder zu kleine Skulpturen macht, Riesen-Memorials oder Püppchen.
Die Sache steht anders bei Manfred Wakolbinger. In der Entwicklung seiner skulpturalen Arbeit sieht man früh merkwürdige Formen, die sich ein Innenleben leisten. Konische Volumina aus Gips beherbergen glänzende, die äußere Form widerhallende leere Kupferbehälter. Diese Zusammenführung von Material und Form ist so eigensinnig, so preziös und stimmig, dass es nicht wundernimmt, dass man diese Idee, dieses Verfahren, einer Skulptur eine spiegelglatt glänzende Fläche einzusetzen, entschieden fortgeführt auch in den jüngsten Arbeiten wiederfindet.
Zu sehen sind die Arbeit von Manfred Wakolbinger charakterisierende biomorphe Figuren, Wesen, die abstraktiv die Linienführung einer organischen Masse, die wie Teig auseinandergezogen wird, aufnehmen. Die Linien sind nicht selten exzentrisch, überdehnt, was im Verein mit dem Highend-Finishing äußerst kaprizierte Figuren ergibt. Nun verfügen diese über die äußere, sie als Volumen säumende, geschwungene Fläche, und über einen Hohlraum, der wiederum von einer spiegelglatten Fläche begrenzt wird. Während sie nach außen klar die Grenzen von Form und Materialität ausspielen, sind diese Skulpturen nach innen orientiert in einer besonderen Weise, nämlich durch einen rundum laufen Innenspiegel, der das pseudoorganische Ding mit einer Seele versieht. Das wirkt so, als hätten die komplexen Gesetze der organischen Selbstorganisation jetzt auch von der Skulptur Besitz ergriffen, was ja tatsächlich ganz folgerichtig wäre. Während Humberto Maturana, Francisco Varela und Gregory Bateson der Selbstwahrnehmung des Organischen in Modellen von Autopoiesis und Selbstbeobachtung nachgingen, fing Manfred Wakolbinger an, auf subtile künstlerische Weise der Forderung nach Selbstreflexivität des lebendigen Volumens eine Antwort zu geben.
Man hat also in diesen Skulpturen das, was man eine selbstreflexive Skulptur nennen könnte, wobei es nicht das Volumen ist, das zu sich selbst zurückkehrt, sondern eine nach innen verlagerte Fläche, die sich selbst aufzeichnet.
Die Auseinandersetzung mit dem skulpturalen Vokabular in diesen Arbeiten platziert sich auch in anderen Dimensionen der Gattung, etwa in Bezug auf den Sockel, der zur passgenauen Gegenskulptur wird, auf welcher die thronende Figur ihr Spiel mit der Schwerkraft inszenieren kann. Die Doppelung der Körper in dieser Interpretation von Sockel und Plastik hebelt die überhöhende Funktion des Sockels, seine die Skulptur der Welt enthebende Funktion, vollständig aus. Stattdessen wird die Skulptur auf den Sockel gebettet wie in eine Weltwiege, wie in einen Sozius-Körper, der erklärt, dass und warum und wie ein Körper nie alleine kommt. Da ist es dann gerade der Sockel, der die Skulptur der Welt nicht entzieht, sondern sie ihr erst gibt. Die deformierende Kraft der Biomorphisierung lässt nicht nur die Linien organisch verrückt spielen, sondern animiert sogar den Sockel dazu, in einer all over Pygmalionsoperation lebendig zu werden. Die Skulpturen, ausgestattet
mit innerer Selbstreflexion, sind Schoßwesen auf ihrem Schoß-Sockel, der sie präsentiert wie ein liebevoll komplizenhafter, ihnen passgenau angemessener Weltteil.