Jasper Sharp
 – Gespräch mit Manfred Wakolbinger - 2019
Texte

J Sprechen wir zu Beginn über den Titel dieser Publikation: «Inhalte Exhale». M Also Einatmen Ausatmen – das ist etwas total Essenzielles …

J … für uns alle …

M… ja, ohne das geht nichts. Manchmal ertappe ich mich, wenn ich auf Tauchexpedition unter Wasser bin, dass ich den Luftblasen von atmenden Menschen beim Aufsteigen zusehe. Dass unser Atmen Form bekommt, ist insofern interessant, als ja das Ganze unter Druck in der Tiefe stattfindet, und wenn diese Luftblasen aufsteigen, fällt der Druck ab, sie dehnen sich aus, verändern ihre Form, sie zerplatzen, und auf einmal wird es ganz was Neues. Das Streben aus dem Element Wasser, in dem sich die Luft befindet – sie strebt ihrem eigenen Element zu. ( Nr. 1 ) Durch dieses Streben entstehen sehr beeindruckende Veränderungen und Wandlungen. Sobald jedoch dieses Ziel erreicht ist, löst sich die Form auf und ist weg. Dieses Verschwinden und sich Auflösen handelt vom Leben und Sterben.

J Da wäre doch noch eine andere mögliche Bedeutung von ein- und ausatmen. Betrachtet man das im Kontext eines kreativen Geschehens, so wäre dies vielleicht das Einatmen. Alles rundum, was wir aufnehmen, was wir sehen und erfahren, das verarbeiten wir. Und Ausatmen ist dann die Form, in der sich dieser Prozess des Einatmens manifestiert. Man könnte da noch weiterdenken. Du hast meine Frage etwas pragmatisch beantwortet. Im normalen Leben sehen wir die Luft, die wir ausatmen nicht, aber im Wasser hat sie plötzlich eine Form, das ist faszinierend. Manchmal also hat unsere Luft eine Form. Ich dachte bei einatmen – ausatmen auch daran, dass wir, wenn wir sprechen oder schreiben, es zu einer Form kommt; alles, was aus uns herauskommt, zum Beispiel im Bezug auf eine Publikation von hunderten und tausenden Stunden des Denkens, auch der physischen Arbeit … alles ist eine Form des Ausatmens von sich selbst … so ist alles was wir tun …

M … weil du das so sagst, dass Atmen mit der Produktion von Kunst und mit dem Output eines Künstlers zu tun hat, da fällt mir dann noch ein, dass das Entstehen von Kunst auch mit Wasser in Beziehung steht. Als Künstler sehe ich mich wie ein Schwimmer, der sich in einem riesigen Ozean, von einer Insel zur anderen bewegt. Und wenn er dann auf eine Insel kommt, benützt er das Vorgefundene, nimmt es auf. Er muss aber wieder weiter schwimmen. Auf diesem Weg zwischen den Inseln verarbeitet man.

J Und die Entscheidung, die Insel wieder zu verlassen, ist manchmal eine bewusste, absichtsvolle Entscheidung, und manchmal muss man es tun – weil man keine Luft mehr hat, oder wenn sich alles zu trocken anfühlt, dann verlässt man die Insel in Richtung der nächsten … Und manchmal bleibt man auf der Insel, denn es gibt zu tun … Die Arbeiten, mit denen wir es hier zu tun haben, verweisen direkt zurück auf etwas, was du vor zwanzig Jahren gemacht hast! Es gibt also in diesem Sinne einige Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Inseln, die haben letztlich einiges gemeinsam.

M Weil diese Inseln eigentlich in dir selbst sind, du kommst ja immer wieder zu dir selbst zurück. Ich bin auf keine Akademie gegangen, ich bin Autodidakt, und ich sehe meine Ausbildung in Beschäftigung mit Kunst und mit 40 hab ich mich entschlossen, eine Psychoanalyse zu machen. Richtig klassisch Freud, auf der Couch. ( Nr. 2 ) Ich sehe das mit diesem Bild: man sieht sich als Haus, man beginnt oben am Dachboden aufzuräumen, Ordnung zu machen, Dinge anzuschauen, die sich da angesammelt haben und wenn man da mal durch ist, dann geht man in das nächste Stockwerk und räumt da auf und geht dann wieder weiter runter, geht dann aber auch wieder zurück, weil ja neue Einflüsse kommen, mit denen man sich beschäftigt. Jetzt muss man wieder in den Dachboden, es haben sich neue Dinge angesammelt. Wieder einen Durchblick schaffen, und deswegen kommt man auch als Künstler in seiner Arbeit eigentlich immer wieder auf Dinge zurück, die schon einmal da waren und verwendet sie dann aber in einem ganz anderen Kontext und in einem hoffentlich reiferen Zustand.

J Hast du Arbeiten von früher, die du dir in deinem Atelier als eine Art von Prüfsteinen, als Referenzpunkte aufhebst, bei denen du das Gefühl hast, dass sich neue Werke daraus ergeben haben oder die du machen möchtest; hast du immer alles Frühere im Kopf?

M Ja, ich habe das schon gern, wenn ich immer wieder bei etwas vorbeikomme, bei dem ich mich erinnere, dass ich das war. In meinem Atelier, das über zwei Stockwerke geht, gibt es einen Raum, der zum Arbeiten nicht benutzt wird, und da steht eine Arbeit aus den 80er Jahren, die bei der Documenta war, die ich mir aufgehoben, die ich nie verkauft habe. ( Nr. 3 ) Das ist eigentlich immer ein freundliches Zuwinken aus der Vergangenheit. Man kann, glaube ich, mit einem gewissen Alter auch besser auf seine eigene Arbeit zurückblicken und nicht alles nur hinter sich lassen.

J Unlängst hatte ich ein interessantes Gespräch mit einer Künstlerin, die erzählte, dass sie am Beginn ihrer Karriere immer in dem Raum außerhalb ihrer selbst nach Einflüssen, Impulsen für Ideen und so Ausschau hielt, aber je älter sie wird, umso mehr Impulse findet sie nun in ihren früheren Arbeiten, denn sie hat nun schon ein paar Kapitel ihres Werkes geschrieben, und sie fühlt sich wie eine Elster, die sich was herauspickt und ausleiht. Und ich fragte sie, wo dieser Punkt war, als sie erkannt hat, was sie tut? Und sie meinte, dass das ganz fließend vor sich ging, dass sie plötzlich nicht mehr im Außen nach irgendwas suchen musste, dass alle Ideen in ihrem bisherigen Werk schon vorhanden waren. Ich finde, das ist interessant, vielleicht ist es auch ganz normal …

M Es ist lustig, weil du das jetzt so sagst. Meine neuesten Arbeiten, sind irgendwie ein doppelter Rückgriff, ich bin aber total happy damit, dass da etwas ganz Neues herausgekommen ist. Bei meinen Placements, die sich ja darauf gründen, dass ich in Psychoanalyse gegangen bin, dass ich da auf der Couch gelegen bin und anfangs nicht verstanden habe, warum man sich da immer hinlegen muss, weil man ja beim Sprechen eigentlich viel aktiver ist, aber man ist da so verankert, man legt sich auf diese Couch, die man kennt, viermal in der Woche knallt man sich da drauf und das ist dann wie so eine der Inseln, von denen ich vorhin gesprochen habe. Dabei ist mir dann klar geworden, wie wichtig es ist, womit man umgeben ist, auf welchem Stuhl man sitzt, in welchem Bett man liegt, also nicht nur, dass man einen Stuhl aussucht, der einem gefällt in Form und Funktion – so ein Stuhl macht auch etwas mit einem. Es gibt diese Geschichte zu den Aschanti-Hockern. Bei den Aschantis bekommen die jungen Menschen einen speziell für diese Person gemachten Hocker zur Initiation. ( Nr. 4 ) Dieses Objekt ist ganz persönlich und darauf sitzt man sein ganzes Leben lang, bei allen Meetings, das nimmt man überallhin mit, und wenn die Person stirbt, wird ihr Körper irgendwo verscharrt und der Hocker kommt in das Hockerhaus. Das ist der Friedhof und wenn jemand seine Ahnen besucht, geht er diesen Hocker besuchen. Denn niemand kennt dich so gut wie dein Hocker. Das hab ich als Ausgangspunkt für meine Placements genommen, die immer irgendwie auch etwas Möbelhaftes erahnen lassen. Dass man sich hineinlegen kann, dass man sich draufsetzen kann, und auch die Dimension ist so. Ich hatte da ein ganz tolles Erlebnis bei der letzten Skulpturenbiennale in Bad Homburg. Da standen fünf Skulpturen von mir auf einer großen Wiese. Es war am Tag der Eröffnung, ein Sonntag zu Mittag. Wir sind mit Freunden noch einmal die Stationen der Biennale abgegangen und kommen zu meinen Skulpturen und da ist eine junge Frau, die fotografiert wird, wie sie in tänzerischer Art in meinen Skulpturen liegt, und mit den Skulpturen tanzt. ( Nr. 5a, 5b ) Ich hab sie dann angesprochen und erfahren, dass dies ihre Abschluss-Arbeit eines Tanz-Workshops sein wird. Dieses Ereignis hat mir total aus der Seele gesprochen. Jetzt zurück zu deiner Frage: Die Placements habe ich anfangs wie Modelle in kleiner Größe von einem Meter oder auch kleiner gemacht. ( Nr. 6 ) Im Lauf der Zeit wurden viele davon als große Skulpturen im öffentlichen Raum umgesetzt, und dann hatte ich diese Modelle im Atelier und hab mir gedacht, irgendwie …

J Sind sie aus demselben Material?

M Sie sind aus Kupfer, die Außen-Skulpturen sind aus Edelstahl. Diese Kupferteile, die sich dann ansammelten, haben zu mir gesprochen. Dann kam es zu diesem Rückgriff und ich habe die Teile zerschnitten und auch dieses Spiel mit dem Sockel wieder aufgenommen. Wobei die Bedeutung des Sockels in unserer Zeit thematisiert wird. Aus dem Zusammenwirken sind dann auf einmal ganz neue Skulpturen entstanden, die sehr erotisch wirken, wie Zungen, und ich habe ihnen dann so ein Betonfundament, einen Anker gegeben, einen Körper, der Halt gibt. Eine Zunge ist ja etwas Weiches, Bewegliches, und es ist überraschend, wenn du ein Modemagazin durchschaust, wie oft die Zunge als Blickfang eine Rolle spielt. ( Nr. 7 )

J … ohne Zunge können wir nicht sprechen und auch, wenn wir zurückkommen auf das Ein- und Ausatmen: da verhindert unsere Zunge oft, etwas einzuatmen. Also diese Zungen waren ursprünglich Arbeitsmodelle für viel größere Skulpturen und an einem bestimmten Punkt wurden sie zu eigenständigen Werken. Hast du sie dann auch absichtlich als autonome Werke geschaffen, ohne daran zu denken, dass sie eines Tages große Skulpturen würden? Wann ist dir die Idee gekommen, sie so zu präsentieren? Wolltest du sie dann einfach als unabhängige Skulpturen einsetzen?

M Ja, diese Gruppe der Zungen ist eine ganz autonome Geschichte.

J Wie die großen Placements haben diese hier auch sofort einen Bezug zum menschlichen Körper, nicht nur aufgrund ihres Titels, sondern als Einladung, sie begegnen uns und verführen uns dazu, mit ihnen zu interagieren, auf ihnen zu sitzen, zu liegen … aber diese Beziehung ist ziemlich ambivalent. Wenn es nicht eindeutig ist, dass wir das dürfen oder können, dann bleibt ein Moment der Unsicherheit, wenn wir auf ihnen sitzen oder liegen oder sie umarmen, weil es eben nicht klar ist …

M Es ist immer auch eine Einladung, mir gefällt das schon sehr gut, wenn man diese Einladung nicht zu direkt spürt. Dass man das ambivalente Gefühl hat, ja bin ich jetzt eingeladen, oder bin ich es nicht?

J Und das magst du, oder nicht?

M Ich hab das gern. Wenn der Wunsch entsteht, gefällt mir das, aber bei den Zungenskulpturen bleibt es bei der Einladung. Man kann nicht darauf sitzen oder liegen. Die sind zu fragil.

J Sie werden als Gruppe, als Familie präsentiert – haben sie alle den gleichen Titel?

M Ja, Zunge 1, 2, 3, 4 … Den Anstoß gaben die schon existierenden Skulpturen. Die umgearbeiteten Modelle. Jetzt entstehen nach dieser Anfangsphase ganz neue Skulpturen.

J Großartig! Manche erscheinen fast wie eine positive und negative Version von einander. Du weißt, dass ich im Moment viel Zeit mit puzzlen verbringe … Sie enthalten so etwas wie ein dekonstruktivistisches Moment, als ob sie mit dem Betrachter in eine starke Beziehung treten wollten, aber auch mit einander, als würden sie sich gegenseitig irgendwie befördern.

M Was mich sehr überrascht hat – manche der existierenden Arbeiten hab ich dann gar nicht zerschnitten, nur verdreht und mit einem Unterteil ergänzt – ursprünglich war diese z.B. wie ein Bett oder ein Stuhl. Jetzt steht sie anders und ist der totale Phallus … ( Nr. 8 )

J … außer sie ist extrem feminin …

M Ja

J Erzähl doch einmal über das Verhältnis zwischen dem Körper, also dem Körper ganz allgemein in deiner Arbeit, und dem physischen Körper des Besuchers, des Betrachters – in welchem Ausmaß hast du oder siehst du diese Objekte als abstrakte Formen, denn der Titel, der gibt ihnen eine figurative Bedeutung; ich habe aber deine Arbeit niemals als rein abstrakt gesehen, das hängt, glaube ich, sehr vom Kontext ab … Manche Arbeiten, die hängen, wirken eher abstrakt, aber ich hatte immer das Gefühl, auch wenn ich die großen Skulpturen im öffentlichen Raum angeschaut habe, dass sie einen Charakter und eine Persönlichkeit besitzen, wodurch man sie sofort als liegende Figur liest, oder ist das etwas, was du bestärkst; wenn du über dein Werk nachdenkst, würdest du den Betrachter darin bestärken wollen oder bist du froh, dass es doch eher rätselhaft bleibt?

M Das ist jetzt vielleicht nicht der menschliche Körper, aber hat was sehr Körperliches, es ist etwas, wie wenn eine Gruppe Tiere auf einmal losstürmt. ( Nr. 9 ) Bei diesen hängenden Skulpturen, die so linear sind, da ist der Ausgangspunkt das Gefäß. Natürlich ist der menschliche Körper das Gefäß, in dem wir leben. So sehe ich auch meine Gefäß-Skulpturen, immer wenn in der Kunst ein Gefäß gezeigt wird, ist das der Raum für Gedanken und Ideen. Und so sehe ich auch den menschlichen Körper. Der Körper ist ja nicht nur eine Maschine, die arbeitet, sondern wird von unseren Gedanken und Gefühlen getrieben, und er ist eigentlich das Werkzeug. Alles, was sich da drinnen abspielt, hat einen Sinn, der uns zwar oft verborgen bleibt, der aber immer interessant ist. Es gibt in Neapel die Cappella Sansevero, jedesmal wenn ich nach Süditalien komme, ist das ein Fixpunkt für mich. Erbaut von einer Adelsfamilie im 17. Jahrhundert. Da liegt im Mittelpunkt eine Marmorskulptur von Giuseppe Sanmartino (1753). Es ist unglaublich, wie diese Christusfigur daliegt. Von einem Tuch bedeckt, das Tuch ist aus Marmor, es ist eine Skulptur und du siehst da jede Falte und es ist, als würde dieses Tuch der ganzen Skulptur Leben einhauchen. Es steht auch eine weibliche Figur auf einem Sockel am Rand und die ist auch von einem Tuch aus Marmor bekleidet – das ist Erotik! ( Nr. 10 ) Was da in dieser Kirche ist, begleitet mich in meiner Arbeit. Dieses Innen und Außen. Dass diese Oberfläche so eine Bedeutung erzeugt und so bezaubert. ( Nr. 11 ) Dann gehst du in dieser Kapelle weiter und auf dem Weg zum Ausgang kommt man in einen Raum, da hat einer dieser Familie Sansevero, der sich medizinisch interessierte, Versuche mit seinen Hausangestellten gemacht, und zwar brutalst. Er hat einem Ehepaar Mittel injiziert, damit ihre Blutgefäße sich verfestigen, um zu erforschen, wo die Adern, Venen und Blutgefäße laufen. Bei lebendigem Leib. Das Blut ist erstarrt und die beiden sind daran gestorben. Er hat sie getötet und dann seziert. Alles freigelegt, und so stehen jetzt diese Präparate – versteinerte Blutgefäße und Skelette – in diesem Raum. ( Nr. 12 ) Das ist der ärgste Horror, den man sich vorstellen kann, bekommt aber aus dem widersprüchlichen Zusammenspiel mit den Marmorskulpturen im Hauptraum einen zutiefst menschlichen Aspekt. Sein und Charakter, die immer zu Kriegen führen. Es entsteht eine zutiefst politische Aussage. Diese Adern und wie das Blut zirkuliert, waren der Anstoß zu den Skulpturen Circulations.

J Der Titel dieser hängenden Figuren ist Breath?

M Ja.

J Komisch, ich erinnere mich, als ich sie vor einiger Zeit in deinem Atelier sah, da las ich sie instinktiv als Zeichnungen. Oder sind es Zeichnungen im Raum? Sie hatten genau den Charakter von «taking a line for a walk» – Linien einfach spazieren führen (wie Klee das ausdrückte). Ja, wiederum hatten sie diese Persönlichkeit, ganz ähnlich den Außenskulpturen, vielleicht ein wenig verinnerlichter, weil sie in einen Innenraum gehören, vielleicht auch weil sie hängen? Oder müssen sie letztlich aufgrund ihres Materials im Innenraum sein? – ich las sie augenblicklich als erweiterte Zeichnungen, was nicht heißt, dass sie keine solche skulpturale Qualität besitzen, aber sie waren eine Studie oder die Vorfassung oder ein Gedanke, und sie ließen einen eine gewisse Direktheit spüren. Das ist interessant und widersprüchlich, denn so etwas könnte man in zwei bis drei Sekunden skizzieren, doch der Produktionsprozess ist vergleichsweise chronisch langsam, sodass es irgendwie einen inhärenten Widerspruch in der Arbeit gibt zwischen dem Unausgesprochenen einer Geste und der Komplexität ihrer Realisierung.

M Das stimmt ja auch! Ich zeichne die ja auch sehr schnell. Mit Bleistift.

J Papier und Bleistift?

M Ja, und Buntstift. Um Räumlichkeit auf dem Papier zu erzeugen. Und dann, beim Herstellen verändert sich das natürlich, wenn ich dem Ganzen einen Körper gebe.

J Hilft dir die Technologie beim Planen der Arbeiten, ein Computer, um die drei Dimensionen irgendwie zu visualisieren?

M Nicht bei denen! Da wird das Gestische durch den Arbeitsprozess beeinflusst und verändert. Die erste Zeichnung zu so einer Arbeit entsteht ja in einer Sekunde. Man wundert sich, dass man in so kurzer Zeit auch so leicht entscheidende Fehler machen kann. Aber es geht doch.

J An eines musste ich immer wieder denken, als ich sie gesehen habe, an dieses Foto von einem Wasserfall, der gefroren ist. Das ist etwas, das in Bewegung ist, in schneller Bewegung, das nur momentan ist, das sich in jedem Augenblick verändert, das aber plötzlich ungewöhnlich fixiert ist, in der Bewegung. Solche Bilder haben mich immer interessiert, denn ich kann die Bewegung in ihnen spüren, immer, und weil sie hängen, gibt es in ihnen noch eine kinetische Qualität; man fühlt die Bewegung des Ursprungs und doch haben sie etwas so Solides an sich, dass sie fast unwirklich, irgendwie unwahrscheinlich sind, was total interessant ist. Wenn man auf die Idee des Widerspruchs zwischen der Geschwindigkeit der Zeichnung und die lange Zeit, die es braucht, um die Skulptur zu realisieren, zurückkommt – sie haben eine Massivität, die allem spottet. Auch hier, das fühlt sich irgendwie federleicht an. Ich weiß nicht, ob du die Installation von Saraceno in der Karlskirche gesehen hast, ich glaube, das Ding hatte etwa 25 Kilo, es war wirklich interessant, aber diese Arbeiten rufen ein ähnliches Gefühl hervor, ich könnte eine in einer Hand halten. Was ich andererseits sagen wollte – und das ist mehr eine Frage: ich habe deine Arbeiten – vor allem die im Außenraum, die öffentlichen Werke – oft als Renderings empfunden. Aber ich hatte auch Momente, wo ich die tatsächliche Form deiner tatsächlichen Arbeiten gesehen habe; und ein bisschen was von der Qualität des Renderings ist in der physischen Realisierung erhalten geblieben. Und im Gegenteil, sie sehen fast aus wie ein Hologramm in der Landschaft. Was du machst ist einem Rendering so ähnlich, dass man sich die Augen reiben muss … ( Nr. 13a, 13b ) Ja, aber selbst wenn ich mir diese Bilder ansehe, dann muss ich echt genau prüfen, ob das eine Fotografie eines Objekts ist oder ein Rendering, und das ist interessant für diese Art von Objekten, die du in die Landschaft stellst … Einerseits haben wir über den Bezug des Körpers zum Ort gesprochen, andererseits haben sie etwas so Fremdes, dass sie dieses Gefühl hervorrufen, als würde eine Art Realitätsschicht über das Werk gestülpt, wie es eben bei einem Rendering der Fall ist. Ist es eine Übereinanderschichtung von Realitäten? Sie rufen diese Empfindung auch im wirklichen Leben hervor … Wie sehr möchtest du dieses Gefühl von Fremdheit evozieren?

M Sehr! Science Fiction interessiert mich sehr. Ich mache ja auch Galaxy Filme, weil es sehr interessant ist, wenn du dir erlaubst, von ganz weit draußen auf dich zu blicken. Eine ähnliche Wichtigkeit hat die Musik. Wenn Jimi Hendrix einen Klangraum baut, dann ist das für mich wie eine Skulptur. Oder in einem Konzert von den Sun O))), da ist das so, also würde sich eine Menge Menschen in einer Skulptur bewegen.

J Wenn ich deine Arbeiten betrachte, dann habe ich sehr oft das Gefühl, sie kämen von irgendwo her, als wären sie von irgendwo gerade hier gelandet. Kannst du etwas über die Beziehung von den Skulpturen und deinen Filmen erzählen? Oftmals zeigst du beides – brauchen sie jeweils ihren eigenen Raum innerhalb des Projekts oder sind sie tatsächlich miteinander verbunden?

M Vielleicht erkläre ich kurz, wie diese Fotos entstehen, aus denen anschließend die Galaxy Filme generiert werden. Man geht in der Nacht in möglichst tiefem Wasser, also 700 bis 1000 Meter tiefes Wasser, im freien Meer tauchen. Das wird Blackwater Dive genannt. Auf 15 bis 20 Meter wartet man auf diese Tiere, welche unten auf 700 Meter leben und in der Nacht heraufkommen und unter der Wasseroberfläche Plankton fressen. ( Nr. 14 )

J Werden diese Fische, diese Tiere irgendwie angestrahlt? M Diese Salpen gehören zur Familie der Chordatiere. Zu diesen gehören neben den am höchsten entwickelten Organismen wie den Säugetieren (einschließlich Menschen) eben recht einfach organisierte Formen wie die Manteltiere. Wie der Name Chorda schon sagt, bilden diese Tiere ein Rückgrat. Auch ein aus wenigen Nerven bestehendes Gehirn ist vorhanden und wächst nach, wenn dieser Teil der Salpe weggebissen wird. Das haben sie uns Menschen voraus. Die Faszination ist auch, dass die Salpen ihre Form innerhalb von Sekunden verändern können, aber nicht weil es gallertig wabert, sie kehren auch wieder in die exakt gleiche Form zurück. Es ist eine unvorstellbare Intelligenz, die uns total fremd ist, dass man den Körper so nach den Gegebenheiten verändern kann, und dann wieder zurückgeht. Das übt einmal mehr für einen Bildhauer eine starke Faszination aus. J Wenn du arbeitest, wie entscheidet sich, ob du daraus einen Film oder eine Skulptur machst? Kann es sein, dass der Film dir eine Art von Ablenkung, eine Pause verschafft oder heißt das, dass du in der Skulptur etwas nicht zurückbekommst, was dir der Film gibt? Wie sind diese beiden Medien gereiht?

M Wie du vorhin gesagt hast, hat man bei meinen Skulpturen manchmal das Gefühl, die kommen woanders her, so ist es! Die Filme zeigen eine Möglichkeit, wo die herkommen können. Das ist zwar projiziertes Licht, aber man sieht da schon eine Welt, die wirklich sehr, sehr faszinierend, aber auch sehr weit weg ist. Die einen aber sehr neugierig macht. Diese Verbindung von diesen Skulpturen mit diesen Räumen. So etwas wirft viele Fragen auf, beinhaltet aber auch mögliche Antworten oder Ansätze einer Antwort. J Möchtest du, dass die Leute erkennen, was sie in deinen Filmen sehen?

M Nein.

J Also du machst es den Leuten absichtlich schwer, das zu erkennen, was sie sehen? M Wenn du meinst, ob jeder sieht, dass es unter Wasser aufgenommene Fotos sind, welche die Grundlage für die Filme sind? Also, das ist mir nicht wichtig. Ich erkläre gerne, wie das Ganze entsteht, aber es ist nicht wichtig. Wichtig ist mir, dass man ein Gefühl von Raum, das man bisher noch nicht gekannt hat, bekommt. J Wäre das ideale Format für eine Filmvorführung so groß wie möglich? In deinen öffentlichen Arbeiten ist die Größe ein wichtiger Faktor; ein Film, so wie wir ihn gerade angeschaut haben, kann am Handy oder auf einem iPad-Bildschirm betrachtet werden …

M Natürlich ist es am besten, wenn die Projektion so groß ist, dass der Eindruck entsteht, man bewegt sich in dem kreierten Raum.

J Als wäre man davon fast zur Gänze umgeben … Du hast erzählt, dass ein Film oft mit einem einzelnen Foto beginnt, das du dann animierst. Wie entstehen die spezifischen Formen deiner Skulpturen?

M Es ist immer ein Prozess! Zum Beispiel bei den Placements skizziere ich, ausgehend von einem körperlichen Zustand. Ich zeichne in Skizzenbücher …

J Bleistift, Papier …

M Ja, Bleistift, dazu klebe ich Szenen, Fotos, die ich finde und die mich begeistern und dazu bringen, das wieder zu verändern. Dann übertrage ich die Zeichnung in ein 3D-Programm im Computer, erstelle ein Rendering. Das ist auch noch ein Prozess, in dem verändert wird. Dieses 3D-Rendering ist dann der Ausgangspunkt für die Skulptur. Dann machen wir im Atelier eine Skulptur in kleinerem Maßstab. Wenn alles stimmt und passt, gehen die Files zur Produktionsfirma für die großen Edelstahlteile. Mit diesen Daten werden dann die Teile der Skulpturen aus Blechen gelasert und zusammengeschweißt. Ich komme dazwischen immer wieder kontrollieren. Da gibt es noch die Möglichkeit für Veränderungen. ( Nr. 15 ) Wenn alles fertig geschweißt und geschliffen ist, wird jeder Teil noch glasperlgestrahlt. Dies bringt diese samtene Oberfläche. J Zwei Fragen: Die eine bezieht sich auf die Produktion: wenn du also Material wie Kupfer oder Stahl verwendest – kannst du dann spontan Änderungen machen? Wenn du eine Skulptur beginnst, kannst du mit der Oberfläche spielen, mit ein paar anderen Details, aber die Form – wieviel Spielraum hast du, spontan zu agieren, wenn du erst einmal begonnen hast? Und zum zweiten eine völlig andere Frage: Sehr viele deiner Arbeiten, die ich gesehen habe, stehen in einem besonderen Platz oder Kontext. Du machst also oft ein Werk, das für einen bestimmten Platz beauftragt ist, aber kannst du, schon bevor du beginnst, den Ort auswählen? Aber oft machst du Objekte, die irgendwann ihren Weg in die Welt hinaus finden und dann irgendwo, wo du keine Ahnung hast, aufgestellt werden. Mich interessiert, wie du an die Sache herangehst – wenn du weißt wofür oder wenn der Ort der späteren Aufstellung unbekannt ist. Macht das einen Unterschied? Diese Frage bezieht sich also auch auf die Spontaneität in deiner Arbeit. M Die Spontaneität ist bei verschiedenen Themengruppen unterschiedlich. Bei den Placements ist während der Entstehung relativ bald die Entscheidung zur endgültigen Form getroffen. Bei der Gruppe Breath ist das Endgültige viel länger offen. Ich beginne vom Entwurf weg zu arbeiten, entscheide die Größe und beginne mit dem Zuschneiden und dem Biegen des Metalls. Löte Teile zusammen, und gebe dann den Teil an meinen Mitarbeiter, der dann diesen Anfangsteil weiterverarbeitet, Bleche auflötet, Löcher schließt und schleift. Dann bekomme ich dieses erste Stück wieder zurück, und ich setze fort. Da kommt es dann aber oft zu überraschenden Veränderungen. Und so geht das dann einige Male hin und her, kann sich über eine Woche hinziehen. Oft schneide ich wieder einen Teil weg, setze diesen wieder anders an und so weiter. Natürlich ist man auch gefangen von den Umständen des Metalls.

J Wie hilfreich ist es für dich, wenn du den Hintergrund kennst, vor dem deine Arbeit stehen wird?

M Hilfreich ist es nicht unbedingt! Es ist aber auch sehr interessant, wenn ich zu einem Kunst im öffentlichen Raum-Projekt eingeladen bin. Ich gehe da immer von einer Besonderheit des Ortes aus, um einen Lösungsansatz für die Skulptur zu finden. Zum Beispiel bei dieser Schule in Wiener Neustadt. Ich war vom Enthusiasmus des Schuldirektors so wunderbar überrascht. Bei der ersten Begehung wurde uns Künstlern erklärt, dass auf dem Baugrund der Schule früher eine große Gärtnerei war. Und deshalb bietet die Schule als Freigegenstand Gärtnern an. Um eine Verbindung zur Vergangenheit zu bilden. Die Schüler pflegen und bearbeiten die Freiflächen und Höfe der Schule selbst. Das hat mich dann dazu veranlasst, die Skulptur eben so zu machen, als würden sich zwei Pflanzen treffen, die Lehre und das Lernen, sich umschlingen. Das war dann schon der Ausgangspunkt für die Form. Zur anderen Frage: Natürlich ist es sehr interessant, wenn ich Skulpturen frei ohne Vorgaben mache, und wie und wo sich diese Arbeiten dann ihren Platz in der Welt suchen und finden.

J Die Arbeiten sind immer Unikate? M Ja! J Hast du jemals Multiples gemacht?

M Ja, aber von Hand gemacht.

J Das heißt, sie sind minimal voneinander unterschieden?

M Ja, die produzierten Editionen wurden per Hand gemacht und es ist zwar die gleiche Skulptur, aber jede ist doch leicht unterschiedlich.

J Wäre es okay zu sagen, dass du eine Art Handschrift hast? Ich finde, dass es bestimmte Formen gibt, die in deiner Arbeit über die Jahre immer wieder auftauchen. Die Materialien ebenso wie eine bestimmte visuelle Sprache, macht es das einfacher? Versuchst du davon wegzukommen oder macht dich das couragierter? Ich finde, das führt zurück auf unsere Frage der Inseln: Unlängst sprach ich mit einer Künstlerin, die Serien auflegte und die plötzlich ihren Rhythmus verlor. Nach einer kleinen Pause versuchte sie, wieder dort anzuknüpfen und fortzusetzen, aber es kamen vollkommen andere Dinge heraus. Das war einerseits frustrierend, denn es war ein angenehmer Groove, in dem sie sich vorher befunden hatte, andererseits, wenn man den Rhythmus verliert, tut sich die Möglichkeit auf …

M Dadurch dass ich an verschiedenen Skulpturengruppen gleichzeitig parallel arbeite, die eigentlich ganz unterschiedlich sind, wie die hängenden Breath und die Zungen. Eigentlich sind die vom Thema her ganz verschieden, und dadurch auch von der Form. Das Material natürlich ist etwas Verbindendes. Oft befruchten sich diese unterschiedlichen Gruppen.

J Wie oft passiert es dir, dass etwas einfach so gar nicht funktioniert, wenn du dich in einer Sackgasse befindest – passiert das immer seltener, je mehr Erfahrung du hast oder gibt es längere Zeitstrecken, wo es einfach nicht läuft?

M Natürlich kommt es auf die Definition, wie lange eine lange Periode dauert. Bei einem Bildhauer ist das Gute, dass man da nicht vor einem weißen Blatt Papier sitzt wie ein Zeichner oder Schriftsteller, sondern man ja Skulpturen hat, an denen man arbeitet, und da kann man sich dann über so einen Hänger retten. Das Scheitern kann aber auch etwas sehr Fruchtbares sein. Es gibt so große Helden für mich, wie zum Beispiel Alejandro Jodorowsky, der Filmmacher, in den 70er Jahren als seine Filme wie «The Holy Mountain» und «El Topo» herauskamen. ( Nr. 16 ) Das war damals der totale Flash, so etwas hat es bis dahin nicht gegeben. Jeder war extrem neugierig, was kommt danach. Er wollt «Dunes» machen, und ist gescheitert, er hat dann nie wieder Filme gemacht, hat Tarot gelegt und Scripts für Comics geschrieben. Es war ein grandioses Scheitern, und da gibt es jetzt einen Film, «Jodorowsky’s Dunes – The Greatest Science Fiction Movie Never Made.» Man erfährt in diesem Film, wie weit das Projekt schon gediehen war, man erfährt aber auch, wie dieser Mensch trotz dieses Scheiterns nicht gebrochen ist, wie er jetzt mit über 80 noch immer brennt. Gerade hat er den zweiten Film einer Trilogie über seinen Beginn und seine Entwicklung vollendet. Scheitern ist, wenn es einen nicht zerbricht, etwas sehr Produktives.

J Gibt es Arbeiten, von denen du das Gefühl hast, dass sie einfach nicht funktionieren, die du zur Seite stellst, wo du aber dann vielleicht nach einem halben Jahr wieder zurückkommst und denkst, aha, nun geht es … behindert dich das zuweilen oder hast du ein instinktives Verständnis dafür, was aus dem Atelier raus will und was nicht?

M Natürlich gibt es Missetaten. Manche verwerfe ich ganz, andere werden nach einiger Zeit wieder hergenommen und weiter oder umgearbeitet.

J Und du arbeitest immer an verschiedenen Dingen zugleich?

M Ja, das bringt das Medium mit sich, wenn man Bildhauer ist, dann arbeitet man handwerklich. In Gedanken beschäftigt man sich mit dem Jetzt, gleichzeitig schon mit den nächsten und übern.chsten Schritten. Ich mache ja auch Fotografie und Filme, das läuft parallel.

J Was wirst du in Leipzig zeigen?

M Ich werde zwei Räume bespielen und im Zwischenstock der Verbindungstreppe werden Galaxy- Filme projiziert. Im großen Mittelraum ist eine Installation von sechs Skulpturen aus der Gruppe Placements. Das wird massiv, da gibt es eine Gruppe mit vier und eine Gruppe mit zwei Skulpturen. Ich zeige da zum ersten Mal die neuen Arbeiten aus der Placements-Gruppe mit verspiegelten Durchblicken. ( Nr. 17a, 17b ) In Jaipur, in Indien, hat es um 1720 einen Radscha gegeben, der sehr an Astronomie interessiert war. Er hieß Radscha Jai Singh II, der hat überhausgro.e Instrumente gebaut, um die Gestirne zu beobachten, es sind unglaubliche Gebäude, Objekte. ( Nr. 18, 19 ) Es ist starre Architektur, also kann das gar nicht mitgehen mit den Gestirnen. Jetzt verfolgen sogar Teleskope von Hobby-Astronomen computergesteuert den Lauf der Gestirne. Das Problem war, während er das alles gebaut hat, wurden in der Zwischenzeit in der westlichen Welt von Wissenschaftlern wie Kepler revolutionäre Neuheiten entdeckt, welche die Erkenntnisse der Astronomie grundlegend über den Haufen geworfen haben. Dadurch waren diese Instrumente bei Vollendung zum Teil wissenschaftlich hinfällig. Artefakte, die zum Großteil ihre Funktionen verloren haben. Mir gefällt das.

J Aber die sind als Objekte konzipiert oder als Gebäude?

M Als Instrumente! Sie sind aber gebäudegroß!

J Also Mess- oder Beobachtungsinstrumente.

M Ja, genau, und das hat mir immer schon sehr gefallen, dass da einer besessen ist: Radscha Jai Singh hat drei solcher Anlagen gebaut – dieses Scheitern, ein grandioses Scheitern und ich erzähle das jetzt, weil ich ja diese Galaxy-Filme mache und jetzt diese Instrumente, um zu beobachten …

J Du hast gesagt, es ist eine Gruppe von vier und zwei. Hast du die von Anfang an als gemeinsam konzipiert, als kleine Familie, oder ist das etwas, das sich entwickelt? Du machst eine und hast schon eine Variation im Kopf?

M Ich mache eine, und ich mache eine zweite und eine dritte und auf einmal bilden sich Gruppen. Das ist wie Kommunikation, die vier bilden einen Satz, eine Geschichte.

J Du spürst, wann eine Serie noch nicht zu Ende ist, es gibt immer noch Möglichkeiten …

M Genau.

J Und der allererste Entwurf von so einem Objekt, das ist etwas, das du …

M … ich zeichne mit der Hand, mit Papier und Bleistift und dann mache ich das im Computer, in einem 3D-Programm.

J Als reines Objekt, ohne Hintergrund, ohne Kontext?

M Ja. Der Kontext ist im Kopf.

J Und die Größe, wann kommt die? Das ist natürlich ein sehr wichtiges Element, wann entscheidest du die Größe?

M Die ist variabel.

J Wirklich? Aber gibt es auch Objekte, die einfach besser funktionieren, wenn sie kleiner sind – das kann ich mir auch gut vorstellen!

M Ja, je komplizierter, desto kleiner, je größer, desto einfacher muss es werden.

J Und wie oft existiert eine Arbeit in zwei verschiedenen Größen?

M Es gibt schon manche in zwei Größen, aber nur jeweils einmal. Bis jetzt wurde noch keine in derselben Größe zweimal gemacht.

J Kannst du mittlerweile – du machst das jetzt seit einiger Zeit – gut abschätzen, ob etwas stimmt?

M Die Simulation im Computer hilft schon sehr, Fehler zu minimieren.

J Baust du auch Modelle von Räumen, wie ein Architekt? M Ja, wenn ich zum Beispiel Wettbewerbe für Kunst im öffentlichen Raum mache, dann baue ich ein Modell, um es besser präsentieren zu können. Aber auch für mich, um eine genauere Vorstellung zu bekommen. Oder auch für Ausstellungen in besonderen Räumen.

J Und was kommt noch für Leipzig?

M Im zweiten Raum, die Schwebenden, die ich Breath nenne, da ist das Hauptobjekt diese Leiter. Eigentlich will ich ja meine Arbeit gar nicht so genau erklären, es ist mir lieber Geschichten zu erzählen, die mich dahin gebracht haben, so etwas zu machen. Zum Beispiel bei dieser Leiter: Es gibt ja Bilder von Jakobsleitern, auf denen dem Jakob im Traum Engel erscheinen, die auf einer Leiter in den Himmel schweben. ( Nr. 20 ) Mir ist nicht so sympathisch, dass im christlichen Denken immer die erste Sprosse das Kreuz Jesu ist, und dass man durch das Leid in den Himmel kommt. Aber ich war auf der indonesischen Insel Sumba, und dort gibt es zur Mythologie der Entstehung der Insel diese Sicht der Leitergeschichte: Es war alles Paradies, da hat es ein Unten gegeben, wo die Menschen gelebt haben und eine Leiter nach oben in den Himmel. Es gab schon einen Gott, oder Götter, da oben. Jedenfalls war es den Menschen erlaubt rauf und runter zu gehen, wie es ihnen gefallen hat. Irgendwann haben sich Menschen aber irre aufgeführt, Streit, Kriege und so. Dann hat Gott das Wasser steigen lassen die guten Menschen konnten hinauf, und die anderen sind ertrunken. Also unsere Sintflut-Geschichte. Irgendwie wurde es Gott dann zu eng – zu viele Menschen. Da hat er ein bisschen Wasser ausgelassen und da ist dann die Insel Sumba entstanden. Die Leiter hat es noch immer gegeben und jetzt ist es so, dass es Einschränkungen gibt. Man darf einmal runter und einmal rauf. Punkt. Es hat natürlich mit Religion zu tun, aber auch mit dem Leben. So etwas gibt mir dann den Anstoß, eine Leiter zu machen. J Ich meine, eine Leiter hat irgendwas mit Glaube zu tun, es muss nicht ein religiöser Glaube sein.

M Ja, mit Vertrauen, Glück und Unglück.

J Die Oberfläche bei diesen Skulpturen ist anders. Rauer, nicht so glatt.

M Mir ist bei diesen Arbeiten hier eigentlich sehr wichtig, dass der Entstehungsprozess und die Arbeitsspuren drauf bleiben und dadurch aus dem Material ein neuer Aspekt entsteht. Die kommen auch nach Leipzig, also in den zweiten Raum, da kommen die mit dem Glas und vier von diesen hängenden Skulpturen und auch eine … Der eine Raum, wo wir vorhin gesprochen haben, der ist 55 Meter lang und 25 Meter breit und sehr hoch und der andere ist ungefähr die Hälfte so groß.

J Und das sind eigentlich zwei Ausstellungen?

M Ich sehe es als eine Ausstellung mit zwei sehr unterschiedlichen Seiten von meiner Arbeit. Ich hoffe, dass dadurch eine interessante Spannung entsteht. Das Verbindungsglied ist die Videoprojektion im Stiegenhaus.

J Ich habe langsam das Gefühl, immer wenn ich mehr von deiner Arbeit sehe, dass du eine Art von alternativem Vokabular in deinem Kopf hast, wo immer wieder Formen oder Dinge in anderen Verbindungen anderen Kombinationen zurückkommen.

M Was meinst du mit alternativ?

J Nicht etwas, das man sofort erkennen würde, also mehr eine Familie von Formen, auf die du zurückgreifst, auf etwas von vor 20 Jahren vielleicht, Formen, die zurückkommen, als Material in Verbindung.

M Diese Zungen … Es ist ja auch so, dass ich teilweise sogar ältere Arbeiten herannehme und weiter arbeite, sie zerschneide und einen Sockel dazu baue, und es entsteht ganz was Neues. Auch die Sockelthematik hat es ja schon gegeben. Zuerst als Teil der Figur, dann ist die Skulptur in den Sockel gerutscht, es sind Gefäßskulpturen entstanden und aus diesen Gefäßen sind damals dann gläserne Kuben geworden. Die das Innenleben einschlossen, und bei den neuen wachsen die Skulpturen wieder heraus.

J Es ist interessant, weil manchmal habe ich das Gefühl, dass das Metall das dominantere Material ist, also hier zum Beispiel mit Glas, und manchmal wenn das hier mit Beton kombiniert ist, spürt man, dass das Metall fast fragiler ist; man spürt hier mit den zwei Materialien, dass es um Gewicht und Kraft geht – ich bin fast sicher, dass wir das schon einmal diskutiert haben. Gibt es Arbeiten von dir, die in permanenter Bewegung sind, kinetische Arbeiten? ( Nr. 21, 22 )

M Skulpturen mit Spiegelflächen, die exzentrisch montiert sind und durch die drehende Bewegung den im Spiegel gefangenen Raum fliegen lassen.

J Den kinetischen Aspekt deiner Arbeit bekommt man sowieso mit, ich hab immer das Gefühl, zuallererst muss man rundherum gehen. Durch die Oberfläche des Materials wirken sie komplett anders von verschiedenen Seiten. im Kopf entsteht mehr Bewegung als vorhanden. Auch mit der Leiter, das impliziert eine Bewegung …

M … das ist genau, was ich erreichen will. Diese Empfindung von Bewegung. Dadurch kommen wir jetzt zu den Arbeiten, die ich Circulations nenne. Die sind eigentlich gedacht wie Ströme von Körperflüssigkeiten oder von Nervenbahnen, wir haben das ja schon besprochen mit Sansevero in Neapel, aber auch wenn ich ins Kunsthistorische Museum gehe und meine Lieblingsbilder – die Cranachs – besuche. Diese Figuren, wie er die zeichnet oder malt, mit welcher Dynamik Eva dasteht. Warum mich das so fasziniert, das sind diese Linien, die sich daraus ergeben, diese Bewegungen. ( Nr. 23 )

J Es ist wirklich faszinierend, diese Circulations-Arbeiten, ich hab die zum ersten Mal vor ein paar Jahren in deinem Atelier gesehen, und obwohl die sehr groß sind – ich meine, sie wirken sehr groß und der Raum ist sehr groß –, ich habe immer noch das Gefühl, die sind ein Miniteil von etwas noch Enormerem, also ich hab das Gefühl, ich bekomme nur einen Prozentteil von etwas, das es hinter der Wand gibt, zwei Kilometer lang, also die wirken wirklich wie kleine Ausschnitte von etwas noch Größerem. Ich hab einmal eine Ausstellung von Jackson Pollock in Venedig gemacht und der Titel der Ausstellung war «No Limits – Just Edges», also ich hab das Gefühl hier, die Arbeit ist begrenzt nur von der Wand und nicht von seiner Bedeutung oder Möglichkeit. Ich glaube, es ist etwas sehr Positives an deiner Arbeit, also ein Vorteil und vielleicht ein Nachteil gleichzeitig: das Beste für deine Arbeit ist mehr von deiner Arbeit. Ich finde also die beste Begleitung von einem Morandi ist noch ein Morandi, ( Nr. 24 ) das Beste an Rothko ist noch ein Rothko …

M Ist ja interessant, ich hab mir das im Bezug auf unser Treffen überlegt, dass ich dich fragen möchte, wie du so eine Ausstellung siehst; eigentlich ist ja so, eine Ausstellung ist das Gefäß für die Kunst, und wenn die Ausstellung, wenn das Gefäß nicht funktioniert, dann rinnt es aus, so wie die Flüssigkeit aus einem Gefäß. dann ist der Rest eigentlich sehr lau und leer. Jetzt ist natürlich interessant, dass du sagst, es gibt Künstler, die sich eigentlich am besten mit sich selbst vertragen, und es gibt welche, die durch andere dann noch eine weitere Bedeutung dazu bekommen. J Es gibt andere, deren Arbeit ein bisschen offener und sozialer ist, das sehe ich manchmal als einen Vorteil, aber manchmal heißt das für mich, dass sie alles bedeuten und deswegen gar nichts. Also dass etwas so eine Projektionsfläche sein könnte. M Ich hab vor einiger Zeit im Palais de Tokyo von Camille Henrot eine phantastische Ausstellung gesehen. Da hat eine Arbeit die andere in die Höhe gehoben. Dadurch ist die ganze Ausstellung abgehoben, wunderbar. Es hat mir super gut gefallen.

J Es ist auch interessant, denn manchmal wirken deine Arbeiten für mich extrem preziös, und sie sind deshalb ein bisschen verwirrend – ich frage mich, was ist das, ich bin verwirrt. Ich meine das nicht kritisch, preziös im Sinne von, ich sollte mich vorsichtig den Objekten nähern, die haben eine Aura, die ich nicht einmal mit einem Finger stören möchte; und andere, die haben diese Schlichtheit und manchmal möchte ich drauf sitzen, da die ein bisschen mehr Alltägliches haben – und ich glaub, dass du beides schaffen kannst, ist auch nicht uninteressant, wenn du die gemeinsam verbindest … Man sieht es auch hier, was du hier hast, dieses Spiel mit verschiedenen Oberflächen, also ich meine nicht preziös wie ein Schmuckobjekt – ich kann das nicht so gut erklären – die haben eine gewisse Kraft, sind sehr selbständig, und die möchten nicht, dass ich zu nahe komme.

M Ok, die sind eigenständig.

J Ja, und manchmal möchte ich einfach eine physische Beziehung aufbauen. Ich weiß nicht, die haben irgendwie eine Kraft, ich habe das Gefühl, ich sollte ihnen mit mehr Respekt entgegentreten und mit anderen möchte ich eine nähere Beziehung haben – ja es geht um Material; und sobald sie so etwas wie dieses Betonpodest haben, sind sie mehr verankert und ich habe das Gefühl, dass sie robuster sind und mehr aus meiner Welt – und sobald etwas so ist, da hat man das Gefühl, dass es mit dieser Glasvitrine plötzlich etwas zwischen mir und diesem Objekt gibt, aber das ist nicht schlecht, es ist einfach eine andere Beziehung, eine andere Lesung und ich meine, da ist was passiert, wenn man ein Bild in ein Museum hängt, wo es plötzlich eine Barriere gibt, einen Rahmen … es gibt soviel – ich habe gerade eine Bonnard-Ausstellung in London, in der Tate Modern gesehen, unfassbar schön, es gab einen Raum, wo sie die Bonnards aus ihren Rahmen genommen haben und diese Bilder, hundert Jahre alt, haben gewirkt wie etwas wie vor fünf Minuten Gemaltes! Und es ist so faszinierend, was passiert, wenn etwas ganz normal präsentiert ist, wie im Atelier, ohne das ganze Drumherum, das wir dazu bringen, um Kunst wertvoller und schöner und preziöser zu machen … Wenn du eingeladen bist zu einer Ausstellung, ist es dann so, dass du langfristige Vorbereitungen machst, oder manchmal, dass du sehr schnell reagieren musst – Leipzig zum Beispiel, fängst du an mit den Räumlichkeiten und sagst, «Ok, was würde von meinem Schaffen am besten passen, egal, ob es etwas ist, das du vor zehn Jahren produziert hast, oder siehst du das immer als Gelegenheit, etwas Neues zu machen, verbindest du gerne Arbeiten von früher mit neueren, jüngeren Arbeiten? Oder was ist dein Modus operandi, wenn so eine Einladung kommt?

M Ich gehe dann immer von der Situation aus. Zum Beispiel in Leipzig, ich habe mir die Räume angeschaut, die überw.ltigend groß sind, da habe ich gewusst, da will ich etwas Wuchtiges machen. Von der Mittelhalle aus sieht man in Stiegenhäuser und einen Ausstellungsraum und da steht der Beethoven von Klinger, der bei der Eröffnungsausstellung der Secession ein Hauptstück war. Das ist ja nicht unbedingt mein Liebling, aber er hat eine Wucht und ist sehr eindrucksvoll. Das hat mich dazu bewogen, eine Skulptur für diese Situation zu machen. Mit Durchblick, mit der Erinnerung an ein Ohr, welches innen verspiegelt ist. Man blickt im Vorbeigehen durch auf diese Beethoven-Skulptur. ( Nr. 25 ) Das ist keine dienende Geste, bei der sich alles dem Beethoven unterordnet, eher ein zusätzlicher Aspekt.

J Wenn jemand das versteht, ist es gut, aber wenn nicht, kann es auch ohne diese Bedeutung existieren! Ich finde es immer viel besser. Ich versuche das immer im KHM. Da wird gewünscht, dass wir die Beziehungen zwischen Sachen ganz präzis erklären, und ich finde es aber so viel schöner, wenn man das offen lässt, dass der Besucher entweder sieht oder nicht, und die das sehen, die sind sehr glücklich, die haben das Gefühl, aha, ich hab diese Verbindung gemacht und nicht jemand hat diese Verbindung für mich gemacht.

M Da kommen wir jetzt auf ein Gebiet, nämlich Erklärung und Geheimnis. Bei meinen Reversals. Das sind Fotos, deren Entstehung ich schon vorhin, als wir über die Galaxy-Filme gesprochen haben, erklärt habe.

J Sind die schwarzweiß fotografiert?

M Nein. In Farbe, aber da geht es unter anderem darum, dem Abgebildeten sein Geheimnis wiederzugeben. Wenn ich diese Lebewesen – die mit uns verwandten Chordatiere – abbilde, fotografiere, entstehen ja sehr schöne, einnehmende Bilder. Diese Farbfotografien haben aber in all ihrer Bezauberung auch etwas sehr Entblößendes. Sie zeigen diese Lebewesen, wie sie aussehen. Man fragt sich natürlich, was denn das ist. ( Nr. 26 ) Bei den Reversals kommt aber noch etwas dazu. Durch die fototechnischen Schritte entsteht aus den Abbildungen etwas ganz Neues. Man fragt sich, was das ist. Gibt es dieses Abgebildete überhaupt oder ist es eine Erfindung? Man erahnt ja ohnedies nur sehr vage, wie das Leben in dieser Tiefe ohne Licht sein könnte. Ich gebe dadurch diesen Lebewesen etwas von ihrem Geheimnis zurück.

J Dass diese Bilder auf so rohem Papier gedruckt sind, finde ich sehr schön. Ich kann mir das auch gut wirklich massiv vorstellen, wie eine Wandtapete. Und wie viele Fotos musst du machen, um eines zu erhalten, mit dem du zufrieden bist, hunderte? M Ja, und außerdem kann man überhaupt nicht planen, was man treffen wird. Das ist immer sehr überraschend. J Das ist eigentlich genau das Gegenteil von deiner skulpturalen Arbeit, weil dies hier in einer Millisekunde entsteht, und die Skulpturen brauchen Stunden!

M Tage! Aber bei dieser Skulpturengruppe, den Zungen, ist eigentlich auch so etwas: Es ist der Teil unseres Körpers, der sich in der Form am meisten verändern kann.

J Um die Sprache …

M … um zu sprechen, um alles zu machen, aber trotzdem, wenn du sie ruhig hinlegst, hinter deine Zähne, hat sie wieder die Form. Das ist anscheinend etwas, das mich anspricht. J Frage: musst du ein Perfektionist sein oder kämpfst du gegen Perfektionismus? M Ja! Ich kämpfe gegen Perfektionismus! J Ich habe mich immer gefragt: wie du sein möchtest. M Na, ich versuche, die richtige Balance zu finden, die für mich stimmt, um Spontaneität zuzulassen, um den Zufall zuzulassen. Es kommt natürlich auch darauf an, welche Art von Skulptur das ist. Im Entstehungsprozess im Atelier passiert die Veränderung andauernd. Bei den großen Edelstahlstücken, die ich ja nicht selber mache, sondern von Firmen produzieren lasse … Da ist es so, dass ich ja nur Formen rausgebe, wo ich schon Erfahrung habe, wo ich relativ sicher sein kann, dass das funktioniert. Ich fahre aber trotzdem während der Produktion immer wieder in das Werk und verändere noch etwas. ( Nr. 27, 28, 29 ) J Weil sobald andere Hände auch involviert sind, gibt es die Möglichkeit, dass auch etwas passiert.

M Ja!

J Wie kannst du die Zustände ins Spiel bringen, dass Zufälligkeiten überhaupt passieren können? Wie kannst du deinen Prozess …

M … bei den Arbeiten aus Edelstahl kann ich zwar noch Fehler beheben, aber spontanes Arbeiten muss in der Entwurfsentwicklung stattfinden. Das ist eben unterschiedlich – zum Beispiel bei der Gruppe «Breath», da arbeite ich selbst und da bin ich total dabei, jede Biegung mache ich selbst – das verändert sich sehr gegenüber dem Ausgangpunkt.

J Und die Präsenz von älteren Arbeiten ist auch wichtig für dich? Hast du die als Referenz oder sind die einfach im Kopf und das reicht, oder musst du was im Atelier stehen haben …

M Nicht unbedingt. Ich habe sehr gerne Kunst von anderen Künstlern um mich, weil mich das irgendwie zu einer Familie zugehörig fühlen lässt. Ich empfinde das anregend. Zum Beispiel habe ich da eine kleine Sammlung von Hans Bellmer-Arbeiten, die mich zur Formulierung meiner «Circulations» geführt haben. ( Nr. 30, 31 )

J Es gibt eine Arbeit von dir in Salzburg, die sehe ich einmal im Monat, ich komme mit meinem Fahrrad vorbei und ich frage mich immer, ob du das unterscheidest, ob du eine Präferenz hast zwischen Besuchern, die deine Arbeit absichtlich besuchen und sehen, das heißt in einer Ausstellung oder in einem Museum, oder ob sie jemand zufällig auf der Straße oder im öffentlichen Raum sieht? Oder auch in einem Skulpturengarten, der ja kein echter öffentlicher Raum ist … also ob du eine Präferenz hast, ob jemand schon vorbereitet ist für dich und deine Sprache oder ob du dieses unerwartete Erlebnis mit deiner Arbeit besonders schätzt? Ich war in Venedig letzte Woche, dort habe ich schon gewusst, ich werde alte Sachen sehen, aber ich habe plötzlich eine Leonardo Zeichnung gefunden, komplett unerwartet und es war mein schönstes Erlebnis … ich meine, da fahre ich zur zeitgenössischen Kunstbiennale und komme zurück mit Leonardo … okay, das ist vielleicht ein blödes Beispiel, weil das war in einem Museum …

M Ich gehe an beides eigentlich gleich heran, oder ähnlich. Zum Beispiel da in Salzburg, weil du das angesprochen hast, wurde ich von der Salzburg Foundation eingeladen, mir einen Platz in der Stadt zu suchen und dafür eine Arbeit zu entwickeln. Und es war für mich relativ schnell klar, dieser stiefmütterlich unbeachtete Platz neben der Salzach, dass das mein Platz ist. Warum entsteht eine Stadt? Weil da Wasser ist und dieser Fluss bringt das Leben, und so ist diese Altstadt entstanden und dann ist da auf einmal dieser leere Platz, der jetzt ein Hundeklo ist. Ich habe mir gedacht, hier kann ich eine Verbindung bringen, und habe die Skulptur «Connection » entworfen. Es war ein relativ großer Kampf – die Salzburg Foundation war sofort dafür, aber der Beirat der Stadt Salzburg hat gesagt, der Platz ist zu schlecht.

J Doch mittlerweile ist das angenommen worden. Am Anfang waren da Bierflaschen drinnen, aber jetzt, die letzten fünf oder zehnmal, als ich da war, ist alles sehr gepflegt. Die Skulptur hat der ganzen Zone mehr Integrität gegeben. M Ich habe auch ein sehr gutes Gefühl und es freut mich wirklich sehr, dass die Salzburg Foundation so dahinter gestanden ist. Ich habe den Platz als Bühne gesehen … J Genau, wie eine Bühne …

M Es gibt natürlich die unterschiedlichsten Interpretationen, was die Öffnungen bedeuten. Bazon Brock hat die Skulptur mit den Öffnungen des Verdauungsapparats in Verbindung gebracht. Für mich ist dieser Durchgang und sind diese Wellen die Verbindung von zwei Gegensätzen. ( Nr. 32 )

J Sind mehr Kompromisse nötig, wenn du im öffentlichen Raum arbeitest als in einem Museum?

M Natürlich gibt es gewisse Sachzwänge. Wenn man da eine gute Lösung findet, ist das gut, wenn man keine gute Lösung findet, dann nicht. Und so ist das auch in einer Ausstellung.

J Lässt du dich gern kuratieren? Manche Künstler haben das sehr ungern. Manche Künstler denken, sie sind sich selbst die besten Kuratoren. Ich denke manchmal, ein Künstler braucht fünf Leute zwischen sich und dem Publikum – magst du den Austausch mit dem Kurator?

M Ja sicher, auch so ein Gespräch, wie wir es jetzt führen, das bringt mir ja was, und das interessiert mich; solange es eine Bereicherung ist, ist das wunderbar, und ich kann mich gut erinnern, als ich für Krems die Ausstellung vorbereitet habe und da war, und du bist gekommen und sagst, wie ich die Metallschlange platzieren soll, das bringt’s! Ja! ( Nr. 33a, 33b )