Peter Noever — Unter dem Nullpunkt der Kunst - 2004
Texte

Ist das ein Blick auf den Grund, aus dem Manfred Wakolbinger schöpft? Oder vielleicht auch eine Erinnerung daran?

Tatsächlich finden sich in seinem bisherigen Werk zahllose Motive, die vor dem Hintergrund dieser Unterwasserfotografien als Umsetzung subaquatischer Eindrücke und Erfahrungen neu hinterfragt und interpretiert werden können. Nicht nur das in unterschiedlichsten Variationen immer wieder auftauchende Thema des Behältnisses, der Traum vom unbegrenzten Volumen, von der Durchdringung von Form und Inhalt.

Findet sich dieses Licht, das reine Präsenz zu sein scheint, ohne ortbare Quelle, nicht auch schon als Reflex in den endlosen Wellungen seiner polierten Skulpturen aus Kupfer? Der Verlust der Räumlichkeit, der Tiefe in der Tiefe, wenn der Blick die Dimensionen nicht mehr ermessen kann, tritt er nicht auch ein, wenn Wakolbinger seine Plastiken durch die transparente Umhüllung mit Glas aus der haptischen Räumlichkeit in die unendlich tiefe Flächigkeit von Bildern rückt?

Ist das ein Blick ins Innenleben der von ihm immer wieder angefertigten Vitrinen, so auch bei seiner künstlerischen Intervention für die Schausammlung Architektur des 20. /21. Jahrhunderts des MAK? Manfred Wakolbingers Vordringen unter die (Meeres-) Oberfläche ist eine reale, nicht konstruierte Metapher für den künstlerischen Prozess.

Es ist der Blick des Künstlers, der eintaucht ins Unsichtbare; der die transparente und doch zugleich undurchsichtige, grundlose, bodenlose Oberfläche des alltäglichen Lebensraums, der Welt durchstößt, um das Ungesehene ans Licht zu bringen; das Polymorphe, in Farben Gehüllte, das nicht Reflexion bestimmter Ausschnitte des sichtbaren Lichts ist. Und hier wird für ihn, den Bildhauer, die Tätigkeit des Blicks zu einer körperlichen Anstrengung und Erfahrung. Es sind nicht die Vorstellung, die Phantasie oder das Denken, die hier die Dinge aus dem Dunkel heben: die Bottomtime begrenzt nicht durch den Raum, sondern höchstens durch die Dauer des Atems, ist der körperliche Aufenthalt im rein Optischen – oder zumindest dasjenige, was dem am nächsten kommt.

Manfred Wakolbinger nimmt uns mit auf eine Expedition unter den Nullpunkt der Kunst. Es ist eine Einladung, von dort aus zu verfolgen, wie sich aus der reinen Bewegung Perspektiven, Gestalten, Körper entwickeln.